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Stopp dem Gedankenkarussell!

In unseren Köpfen geht es meist zu, wie auf einer vielbefahrenen Autobahn. Die Gedanken sausen nur so umher und halten uns beschäftigt. Doch Autobahn ist besser als Kreisverkehr: Drehen sich die immer gleichen Gedanken in unseren Köpfen, kann das zum Problem werden – und im schlimmsten Fall sogar krank machen. Doch es gibt Wege, aus einem Gedankenkarussell auszusteigen.

60 000 Gedanken haben wir jeden Tag. 80 Prozent davon sind negativ und 95 Prozent wiederholen sich ständig. Das jedenfalls will eine Studie der National Science Foundation 2005 herausgefunden haben. Puh! Das klingt nach ziemlichem Chaos in unseren Köpfen und ist sehr anstrengend. Zum Glück sind nur ein Bruchteil davon bewusste Gedanken und auch nicht alle negativen Gedanken sind gleich ein Problem. «Das Gehirn denkt immer, wir können gar nicht nicht denken», bestätigt Tiffany Jacob, Psychotherapeutin am AMEOS Seeklinikum in Brunnen. Oft sei es auch hilfreich, sich über etwas vermehrt Gedanken zu machen: «Neue, ungewohnte Situationen, eine knifflige Aufgabe, die gelöst werden muss, oder eine anstehende Entscheidung sind gute Gründe, viel nachzudenken», sagt die Psychotherapeutin.

So weit, so gut. Problematisch wird es allerdings, wenn sich die immer gleichen Gedanken oder Fragen im Kreis drehen. Dieses Gedankenkarussell verursacht Stress, kann auf Dauer zermürben und krank machen. Doch wo genau liegt die Grenze zwischen nützlichem Nachdenken und zwanghaftem Grübeln? «Der Übergang ist nicht trennscharf. Grundsätzlich sind Gedanken aber dann dysfunktional, wenn für den Menschen ein Leidensdruck entsteht und er sich in seiner seelischen und körperlichen Gesundheit bedroht fühlt.» Erkennen könne man das, wenn sich ein Mensch nicht mehr wohlfühle, geliebten Tätigkeiten nicht mehr nachgehe, den Alltag nicht mehr stemmen könne oder seine sozialen Interaktionen vernachlässige, erklärt Jacob.

Gedankenkreisen, beobachtete Tiffany Jacob, findet sich oft bei Menschen mit Depressionen, bei solchen, die zu Angst neigen oder einen tendenziell niedrigen Selbstwert haben. «Dabei handelt es sich sicher nicht um einen kausalen Zusammenhang, aber eine Tendenz ist zu beobachten», erklärt die Psychotherapeutin. «Je resilienter Menschen sind und je realistischer sie denken, desto weniger anfällig sind sie für kreisende Gedanken.» Oder desto einfacher fänden sie einen Weg heraus aus der belastenden Situation.

Erfahrungen mit Menschen, die sich gerade aus solchen Situationen befreien wollen, hat auch Lotte Elderhorst. Sie ist Business Coach und Karriereberaterin. «Wer zu mir kommt, trägt oft ein Problem schon länger mit sich herum.» Wichtig ist ihr zu betonen, dass sie als Coach nur Menschen helfen kann, bei denen noch keine therapeutische Behandlung nötig ist. «Als Coach lege ich den Fokus nicht darauf, wo das Problem herkommt, sondern wie es gelöst werden kann. Da grenze ich mich klar von einer therapeutischen Begleitung ab. Ich fordere bei meinen Klientinnen und Klienten den Blick in die Zukunft: Welche Handlungsschritte helfen ihr oder ihm, um die Herausforderung zu lösen?» Elderhorst hat den Eindruck, dass viele Menschen dazu neigen, es allen recht machen zu wollen: dem Chef, dem Team, dem Partner, und sich deshalb zu sehr verbiegen und nicht ihrer eigenen Linie treu bleiben. «So können Menschen schnell in Situationen geraten, mit denen sie unzufrieden sind, was wiederum dazu führen kann, dass sie durch übermässiges Grübeln in einem Gedankenkarussell landen.»

Mut zur Veränderung

Doch was erhoffen sich Menschen davon, ihre Gedanken in endlosen Schleifen immer und immer wieder in ihren Köpfen rotieren zu lassen? «In meiner Arbeit gehe ich davon aus, dass jedes Symptom ein Versuch des Organismus ist, eine Balance herzustellen. Dahinter steht im Fall des Gedankenkreisens die Hoffnung, dass man nur wiederholt nachdenken muss und dann schon auf eine Lösung des Problems kommen wird», sagt Tiffany Jacob. Doch so läuft es nicht. Zum einen können die Gedanken auch um etwas kreisen, das sich gar nicht lösen lässt: «Warum bin ich nicht schon fünf Minuten früher losgefahren?» oder «Warum passieren mir immer so schlimme Dinge?» sind Beispiele dafür. Doch auch Fragen, bei denen es eigentlich eine Lösung gibt («Soll ich mich von meinem Partner trennen?», «Soll ich mir einen neuen Job suchen?») lassen sich mit Grübeln nicht lösen. Denn Grübeln lässt den Grübler vor allem in einem Schwebezustand verharren. Der aktuelle Zustand wird also aufrechterhalten.

«Wenn wir uns anderen Menschen anvertrauen, schafft das in uns Erleichterung.» – Lotte Elderhorst, Business Coach

Unbewusst ist das vielleicht genau das Ziel: «Oft ist es auch einfach bequem, in einer solchen Situation zu verharren», weiss Lotte Elderhorst. Denn Veränderungen können wehtun und brauchen Mut. Probleme, die uns zu kreisenden Gedanken verleiten, sind in der Regel keine, die wir ohne Konsequenzen einfach mal ausprobieren können. Vielmehr handelt es sich oft um einschneidende Veränderungen: Beziehungen beenden, Jobs wechseln, Umzüge etc. Wer in diesen Fragen nicht handelt, vermeidet damit immer auch potenzielle Konflikte. «Wenn die immergleichen Gedanken omnipräsent sind, hat eine Lösung gar keinen Platz», findet Elderhorst. «Man darf dann zuerst einmal Platz für neue Gedanken schaffen.» Doch wie kann das gelingen? «Über Herausforderungen reden kann schon mal enorm hilfreich sein, denn wenn wir uns anderen Menschen anvertrauen, schafft das in uns Erleichterung.»

Gedanken sind keine Tatsachen

«Wichtig ist auch, dass man sich selbst beim Grübeln ertappt. Nur wenn man es selbst merkt, eröffnen sich Handlungsoptionen», meint Tiffany Jacob. Der nächste Schritt sei dann, sich zu fragen, was gerade hilfreich oder nützlich ist, und was eher nicht. Um das Gedankenkarussell kurzfristig zu stoppen, empfiehlt sie, die Gedanken auf etwas anderes zu fokussieren: «Es hilft schon in diesem Moment, fünf Dinge aufzuzählen, die man gerade hört, riecht oder sieht. Oder auch einfach ein Sudoku zu lösen. Hauptsache irgendetwas anderes», sagt Jacob. Karusselle seien ja durch ständige Wiederholungen charakterisiert und wenn nur schon etwas anders ist, ist man einen Schritt raus aus dem Karussell. «Über das Karussell zu reden, ist schon etwas anderes, als drin zu sein.»

Was ihrer Meinung nach allerdings nicht hilft: einer betroffenen Person den Rat «Denk positiv» mit auf den Weg zu geben. «Als Psychotherapeutin sehe ich diesen Rat als sehr kritisch, bis hin zu problematisch. Es tönt, als wäre es das Beste, ständig positiv zu denken. Doch das entspricht nicht der menschlichen Realität. In der Natur gibt es Ebbe und Flut, Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. Positives und Negatives gehören zum Leben einfach dazu. Der bessere Rat lautet aus meiner Sicht: ‹Denk realistisch›». Denn die gute Nachricht ist: Wir sind unseren Gedanken nicht schutzlos ausgeliefert. «Menschen können etwas an der eigenen Situation ändern, immer», ist Elderhorst überzeugt. Und auch Jacob meint: «Wir Menschen haben die Fähigkeit zu entscheiden, was wir denken wollen. Natürlich spielen Genetik und Erziehung eine Rolle und natürlich ist unser Denken ein Produkt aus Prägung, Erfahrung und Sozialisierung und dennoch können wir es so verändern, dass es für uns dienlicher ist. Denn Gedanken sind keine Tatsachen und wir sollten nicht alles glauben, was wir denken.»

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Stefanie Zeng ist Online Redaktorin bei Miss Moneypenny. 

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