Special: Liebe@Office

Wenn Nähe im Job toxisch wird

Toxische Verhaltensweisen sind subtil und langfristig zerstörerisch. Sie lassen Betroffene an sich selbst zweifeln, bagatellisieren Gefühle und schleichen sich wie kleine Dosen Gift in den Alltag. Besonders heikel wird es, wenn Nähe, Vertrauen oder sogar Liebe im Spiel sind. Denn dort, wo Gefühle auf Hierarchien und Teamstrukturen treffen, wirken toxische Dynamiken doppelt stark.

Im Assistenzalltag ist Sensibilität gefragt: Sie spüren Stimmungen, bevor andere sie wahrnehmen, denken Konflikte Monate voraus und ahnen, wenn etwas kippt. Dieses Radar ist wertvoll, aber gefährlich, wenn private Nähe oder emotionale Bindungen dazukommen. Gerade dann sucht man Fehler schnell bei sich selbst, zweifelt am eigenen Einsatz oder hofft auf Anerkennung. Man läuft aber auch Gefahr, aus Zuneigung Grenzen zu verschieben, oder versucht vielleicht, Fehler aufzufangen und Konsequenzen zu verschieben, um geliebte Menschen zu schützen. Genau hier fangen toxische Dynamiken an zu wirken.   

Was sind toxische Beziehungen?

Ob privat oder beruflich: Toxisch sind Beziehungen, in denen einer oder beide Personen Schaden nehmen. Typische Anzeichen sind Grenzüberschreitungen, Abwertungen, Diffamierungen und Konflikte, in denen einer verliert und der andere gewinnt. Der vermeintlich Mächtigere schreibt der anderen Person Verantwortung zu und reagiert mit Schuldzuweisungen oder Erniedrigung, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden. Statt Dank für Bemühungen zu erfahren, wird einem immer wieder deutlich gezeigt, dass man es nicht richtig machen kann.

Die Konsequenzen sind weitreichend: Enttäuschung, Schuld, verstärkte Bemühungen, kleines Lob – und bei nächster Gelegenheit erneute Schuldzuweisung. So etabliert sich ein Kreislauf, der erstaunlich stabil ist und Betroffene oft über Jahre fesselt. Viele dieser Verstrickungen haben ihren Ursprung in der Kindheit. Die Psyche verwechselt Vorgesetzte oder Partnerinnen und Partner im Job oft unbewusst mit Elternteilen – alte Muster werden aktiviert. Die Devise «Wer sich anpasst, vermeidet Ärger» hat früher Sicherheit gegeben, schafft heute aber Abhängigkeit. Nähe wird zur Falle, wenn sie mit alten Prägungen kollidiert.

Hierarchien, die den Druck erhöhen 

Besonders schwierig ist es, wenn diese Muster im Rahmen eines Machtgefälles auftreten. Noch belastender ist es, wenn fachliche Differenzen ins Persönliche abrutschen und in Mobbing eskalieren. In solchen Situationen steigt der psychische Druck enorm. Toxische Muster zeigen sich je nach Beziehung unterschiedlich: 

  • Vorgesetzte: Freundschaftliche Nähe in einer hierarchischen Beziehung wirkt besonders intensiv. Vertrauen kann zur Waffe werden: «Ich dachte, du stehst loyal hinter mir.» Solche Sätze spielen mit Schuldgefühlen und Loyalität. Oft verschwimmt die Grenze zwischen Jobpflicht und emotionaler Bindung.
  • Kollegin oder Kollege: Hier mischt sich das Bedürfnis nach Zugehörigkeit mit Rivalität. «Ich sag dir das als Freundin» klingt nach Nähe, ist aber oft ein Loyalitätstest. Dahinter folgen subtile Abwertungen oder Schuldzuweisungen. Besonders heikel: Wenn eine Seite enger verbunden ist als die andere.
  • Partner im Büro: Private Liebe in beruflichen Strukturen ist die Königsdisziplin und die grösste Herausforderung. Kritik im Job wird als persönliche Zurückweisung erlebt, private Konflikte schwappen ins Büro und umgekehrt. Rollen wechseln ständig: morgens Liebespaar, mittags als Team auf der Arbeit und abends bei der Erziehung der Kinder. Was wie Bereicherung klingt, birgt die Gefahr, dass toxische Muster beide Ebenen durchziehen. 

Natürlich möchte niemand alles widerspruchslos hinnehmen, doch in aufgeheizten Momenten souverän zu bleiben, ist eine grosse Herausforderung. Entscheidend ist, wie man in Erinnerung bleibt: negativ durch Ausrasten oder positiv durch ruhiges, professionelles Handeln. Erinnerungen prägen den Ruf, und es lohnt sich, die Kontrolle zu behalten. 

Der Ausstieg aus der toxischen Umgebung

Freiheit entsteht nicht durch Hoffnung, dass sich andere ändern, sondern wenn man selbst neue Handlungen und Denkweisen einübt. Betrachten Sie Chef oder Kollegin als kostenfreie Trainingspartner und analysieren Sie die Situationen, die Ihnen zu schaffen machen; in etwa so, als würden Sie Ihren Kühlschrank durchsortieren. Ein verschimmelter Joghurt im Kühlschrank ist nicht böse, aber er macht krank. Schuldfragen helfen nicht; wichtig ist, die Reaktion zu ändern. Wegwerfen und besser für sich sorgen.  

Übertragen auf den Büroalltag heisst das: Es geht darum, zu verstehen, welche Mechanismen für Sie schädlich und auf bestimmte Weise giftig sind und wie Sie für sich besser damit umgehen können. Sie haben es nicht in der Hand, wie sich Chef oder Kollegin verhalten, aber Sie können sich dazu entscheiden, sich aus den emotionalen Fesseln zu lösen.  

Strategien für den Alltag 

Es gibt Methoden, um Konflikte für sich zu entscheiden, statt alte Muster abzuspulen. Das funktioniert, wenn man die Beziehung zu sich selbst geklärt hat und innerlich freier ist. So braucht es nicht mehr die «richtige Reaktion» von anderen, sondern man handelt bevorzugt in Harmonie mit sich selbst. Das ist einfacher und energiesparender als der tägliche Ritt auf der Rasierklinge. 

Mit gestärktem Selbstwert verändern sich auch die Reaktionen:

  • Auf der Sachebene bleiben: Angriffe in den fachlichen Kontext führen.
  • Zeit verschaffen: Antworten verschieben statt sofort reagieren.
  • Unterstützung nutzen: Netzwerke und Verbände bieten Rückhalt.
  • Früh Grenzen setzen: klar sagen, was möglich ist und was nicht. Und damit Verantwortung bei demjenigen lassen, dem sie gehört.  

So fliesst die Energie zurück in das, was zählt: Unterstützung, Organisation, Struktur. Und genau hier entsteht der eigentliche Gewinn. Man gewinnt die innere Ruhe zurück und kann die eigenen Stärken gezielt einsetzen, statt sie in Abwehrkämpfen zu verbrauchen.

Der lange Weg zur Klarheit 

Der Ausstieg aus toxischen Mustern ist kein Wettlauf. Ein jeder ist sich selbst der Massstab, und es ist völlig in Ordnung, wenn man einer Situation erstmal ausweichen oder klein beigeben möchte. Es geht nicht um einen Sprint, sondern um den Weg zu mehr Klarheit und innerem Frieden.

Buchtipp: Schluss mit toxisch!

Das Buch beleuchtet toxische Beziehungs-, Kommunikations- und Verhaltensmuster und weist Wege zu gesünderen Beziehungen auf – in der Familie, im Job, in der Partnerschaft und im Freundeskreis. Es analysiert, warum familiäre Prägungen und gesellschaftliche Erwartungen toxische Dynamiken oft begünstigen und spezielle Anlässe wie Weihnachten, Muttertag oder berufliche Meetings diese triggern und zur emotionalen Falle werden. Anhand konkreter Anlässe werden typische Konflikte analysiert und Soforthilfen zur Deeskalation vorgestellt.

Schluss mit toxisch!
Alexandra Lüthen, Alexandra Stock
Vandenhoeck & Ruprecht
2025, 220 Seiten

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Alexandra Lüthen ist Coach und Schriftstellerin. Ihr Fokus liegt auf barrierearmer und bedürfnisorientierter Kommunikation – als Schlüssel für echte Verbindung und stabile Beziehungen. 
alexandraluethen.de

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Alexandra Stock, NLP-Expertin und SystemCoach, begleitet seit Jahren Menschen im Umgang mit toxischen Beziehungen. Ihr Schwerpunkt: Selbstwert stärken und innere Blockaden auflösen.
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