55Plus im Arbeitsrecht
Vor dem Gesetz sind alle gleich. Oder doch nicht? Unser Rechtsexperte Nicolas Facincani geht der Frage nach, inwiefern Arbeitnehmende ab 55 Jahren besonders geschützt sind und ob sie mehr Rechte geniessen.

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Es gibt verschiedene Bestimmungen in verschiedenen Gesetzen, die Arbeitnehmenden ab einem gewissen Alter bestimmte Rechte einräumen.
Gesetzliche Regelungen
Gemäss Art. 27 Abs. 2 lit. c des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) erhalten etwa Arbeitslose ab einem Alter von mindestens 55 Jahren bis zu 520 Taggelder und damit eine höhere Arbeitslosenunterstützung als jüngere Arbeitslose mit höchstens 260 beziehungsweise 400 Taggeldern.
Ferner findet sich bei der Möglichkeit der vorzeitigen Pensionierung eine Altersgrenze von 58 Jahren. Gemäss Art. 47a BVG kann eine versicherte Person, die nach Vollendung des 58. Altersjahrs aus der obligatorischen Versicherung ausscheidet, weil das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber aufgelöst wurde, die Versicherung weiterführen oder die Weiterführung im bisherigen Umfang bei ihrer bisherigen Vorsorgeeinrichtung verlangen.
Gemäss Abs. 7 derselben Bestimmung kann die Vorsorgeeinrichtung im Reglement die Weiterführung der Versicherung nach diesem Artikel bereits ab dem vollendeten 55. Altersjahr vorsehen. Bei betrieblichen Restrukturierungen sind gemäss Art. 1i Abs. 2 lit. a BVV 2 ausnahmsweise sogar Altersrücktritte vor dem 58. Altersjahr reglementarisch möglich.
Das Bundesgesetz über Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose (ÜLG) sieht einen besonderen Schutz für Personen vor, die nach dem 60. Altersjahr von der Arbeitslosenversicherung ausgesteuert werden, indem ihnen – bei Vorliegen verschiedener Voraussetzungen – bis zum Bezug einer Altersrente Überbrückungsleistungen zugesprochen werden können.
Mehr Ferien ab 55 Jahren
Oft wird davon ausgegangen, dass die Ferientage, die einer arbeitnehmenden Person gewährt werden müssen, mit zunehmendem Alter steigen. Das ist allerdings in der Regel nicht so: Das Obligationenrecht sieht einen Mindestanspruch von vier Wochen bezahlten Ferien pro Jahr vor. Jugendlichen bis zum 20. Altersjahr stehen fünf Wochen Ferien zu. Sodann sind einer lernenden Person bis zum 20. Altersjahr mindestens fünf Wochen Ferien zu gewähren (Art. 345a Abs. 3 OR).
Bei den vorgenannten Vorschriften handelt es sich um Mindestvorschriften zugunsten der Arbeitnehmenden. Das heisst, von ihnen darf nur zugunsten, jedoch nicht zulasten der Arbeitnehmenden abgewichen werden. Wenn also keine anderweitigen Regelungen bestehen, stehen einer Arbeitnehmerin auch mit zunehmendem (Dienst-)Alter nicht mehr Ferien zu als einem (Dienst-)Jüngeren.
In der Praxis oft anzutreffen sind Einzelarbeitsverträge und Mitarbeiterreglemente, bei denen die Anzahl Ferientage an die Dienstjahre oder an das Alter der Arbeitnehmenden gekoppelt sind. Solche Regelungen sind normalerweise zulässig – sofern das gesetzliche Ferienminimum eingehalten wird –, aber vom Gesetz nicht zwingend vorgesehen. Häufig wird Arbeitnehmenden ab dem 50. Altersjahr ein höherer Ferienanspruch von oftmals fünf Wochen gewährt. Auch Gesamtarbeitsverträge enthalten oft Regelungen über Ferien, die grosszügiger ausfallen als die vier Wochen, die das Obligationenrecht mindestens vorsieht.
Erhöhte Fürsorgepflichten?
Ein Arbeitgeber hat im Arbeitsverhältnis nach Art. 328 Abs. 1 OR auf die Gesundheit der Arbeitnehmenden gebührend Rücksicht zu nehmen. Er hat zum Schutz von Leben, Gesundheit und persönlicher Integrität der Arbeitnehmenden die Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebs angemessen sind, soweit es mit Rücksicht auf das einzelne Arbeitsverhältnis und die Natur der Arbeitsleistung ihm billigerweise zugemutet werden kann (Art. 328 Abs. 2 OR).
So hat der Arbeitgeber etwa die erforderlichen und geeigneten Massnahmen zum Schutz vor Berufsunfällen zu treffen. Aufgrund des Alters einer arbeitnehmenden Person können bestimmte erhöhte Fürsorgepflichten im Zusammenhang mit dem Gesundheitsschutz geboten sein.
Altersdiskriminierung bei der Anstellung
Ältere Personen werden oft benachteiligt, indem sie nicht angestellt werden. Alterslimiten nach oben oder gegen unten sind jedoch in vielen Stellenausschreibungen enthalten. Zwar sieht die Bundesverfassung (Art. 8 Abs. 2 BV) gegenüber dem Staat das Verbot der Altersdiskriminierung vor, doch muss ein privater Arbeitgeber das nicht direkt beachten.
Wird die Persönlichkeit der Bewerberin oder des Bewerbers bei einer Nichtanstellung verletzt, dürfte als Rechtsfolge eine Genugtuung oder ein Schadenersatz zugunsten der betroffenen Person infrage kommen. Als konkreter Schaden könnte beispielsweise der entgangene Lohn herangezogen werden. Nichtanstellungen aufgrund des Alters werden in der Regel aber nicht als persönlichkeitsverletzend erachtet. Das Obergericht des Kantons Zürich hat etwa in einem Entscheid (LA 150046 vom 23. November 2015) festgehalten, dass die Ablehnung eines Bewerbers mit der Begründung «Alter» nicht gegen die Persönlichkeit des Bewerbers gerichtet sei.
Daher gilt: Auch wenn Diskriminierungen bei der Anstellung weit verbreitet sind, ist der Rechtsschutz für Betroffene nur schwach ausgestaltet.
Alterskündigung
In den letzten Jahren erachteten das Bundesgericht sowie auch vermehrt das kantonale Gericht die Kündigungen von älteren Arbeitnehmenden mit langer Dienstzeit als missbräuchlich. Dabei geht es um ältere Arbeitnehmende mit langer Dienstzeit, wobei das Bundesgericht bis heute offenliess, wann Arbeitnehmende als älter (ab ca. 58 bis 60 Jahren) gelten und wann eine Dienstzeit als lang betrachtet werden darf (ab 12 bis 15 Dienstjahren).
In einem Entscheid aus dem Jahr 2014 (BGer 4A_384/2014 vom 12. November 2014) hielt das Bundesgericht fest, dass für die Pflichten des Arbeitgebers im Zusammenhang mit einer Kündigung das fortgeschrittene Alter einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers mit langer Dienstzeit eine massgebliche Rolle spiele. Für diese Arbeitnehmendenkategorie gelte eine erhöhte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.
Daraus sei zu schliessen, dass bei älteren Arbeitnehmenden der Art und Weise der Kündigung besondere Beachtung zu schenken sei. Diese hätten namentlich Anspruch darauf, rechtzeitig über die beabsichtigte Kündigung informiert und angehört zu werden, während der Arbeitgeber verpflichtet sei, nach Lösungen zu suchen, die eine Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses ermöglichen.
Ein absoluter Kündigungsschutz für diese Kategorie von Arbeitnehmenden bestehe indes nicht, würde ein solcher doch das Prinzip der Kündigungsfreiheit grundsätzlich in Frage stellen. Höchstrichterlich sei denn auch schon eingeräumt worden, dass sich eine Kündigung unter Umständen, selbst kurz vor der Pensionierung, als unumgänglich erweisen könne. Diesfalls würde aber ein in erhöhtem Masse schonendes Vorgehen verlangt.
In letzter Zeit hielt das Bundesgericht vermehrt fest, dass stets die Umstände des Einzelfalls zu betrachten seien.